Halle im October 1806

Anonym 1808

17. October

Früh Morgens rückte das schöne Füsilierbataillon v. Hinrichs, welches auch von Leipzig kam, in Halle ein. Die Bedürfnisse des Lagers an Holz, Fourage, Fleisch, Brot und dergleichen wurden hinausgeschafft, und die Soldaten kamen in die Stadt um Gemüse, Gewürze, fließend Wasser und andere Bedürfnisse hinaus zu hohlen.

Noch immer war keine bestimmte authentische Nachricht von dem Ausgange der Schlacht hier. Die Französischen Truppen, von deren Nähe man gewisse Auskunft hatte, hielt man für unbedeutende Streifkorps, welche keiner großen Unternehmung fähig wären. Man erwartete im Falle eines Angriffs, die Franzosen aus der Gegend von Leipzig her.

Gegen zehn Uhr Vormittags sprengte ein Trompeter vom Herzbergschen Dragonerregimente durch das Clausthor ins Hauptquartier, mit der Nachricht, daß der Feind sich von Passendorf her der Stadt nähere. Man behauptet, dass der Herzog diesen Mann, weil er ihn für betrunken hielt, in Arrest bringen ließ.

Nicht lange darauf jagte das ganze Regiment durch die Stadt, zum Lager hinaus, und verbreitete schnell die schreckenvolle Nachricht von der Annäherung der Franzosen und ihrer Übermacht.

Furcht und Entsetzen bemeisterten sich jetzt eines jeden, und die arme Stadt, schon vor fünf Tagen in gleiches, obgleich ungegründetes Schrecken versetzt, stand jetzt im Begriff, der Kampfplatz zweyer Heere zu werden.

Der Generalmarsch wurde geschlagen, die in der Stadt liegenden Füsiliere rückten mit zwey Compagnien des Grenadierbataillons Crety und zwey Feldstücken durch das Clausthor dem Feinde entgegen. Die beyden übrigen Compagnien jenes Grenadierbataillons nebst den hundert Mann des dritten Bataillons Renouard verließen als Bedeckung der Kriegscasse und des Postamts die Stadt, und schlugen den Weg nach Dessau ein. Alle Bagagewagen, welche noch in der Stadt waren, fuhren in das Lager.

Die anrückenden Preußen fanden einige Vorposten des Feindes schon bis in die Nähe des äußern Thores vorgedrungen, trieben dieselben aber zurück, und postirten sich längs des Steindammes, welcher vom Zollhause an der hohen Brücke nach Passendorf führt. Hier wurden auch die beyden Kanonen aufgestellt. Die Grenadiere blieben am Damme, die Füsiliere hingegen verbreiteten sich theils auf der an der Brücke gelegenen großen Wiese, um mit den Tirailleurs zu scharmuzieren, theils besetzten sie das diesseitige Ufer und besonders die sogenannten Pulverweiden, von wo aus sie auf den Feind schossen.

Die Hauptmacht der Franzosen stand in Passendorf; von hier aus sendeten sie kleine Detachements in die kleinen Gebüsche in der Nähe des Dorfs, ihre Tirailleurs und einige leichte Cavallerie vertheilten sich auf der Wiese. Doch schien es, als glaubten sie sich noch nicht stark genug, und hielten ruhig das Feuer der Preußen aus, um erst die Verstärkung, welche mit schnellen Schritte nahte, an sich zu ziehen. In der Haide lag ein bedeutendes Detachment als Reserve, welches in der Folge das Regiment Treskow besiegte. Das Feuer der großen und kleinen Gewehre dauerte über eine halbe Stunde, mit bemerkbarem Verluste der Franzosen fort. Endlich geruhten Sr. Königliche Hoheit, Herzog Eugen von Würtemberg, sich auf die Brücke hinaus zu begeben. Da er nur die kleine Anzahl der Feinde in Passendorf bemerkte, hielt er eine große Anstrengung gegen diese kleine Streifpartey für unnütz, verbot das weitere Verschwenden der Munition, ritt weg, und nahm noch eine reitende Batterie, welche zur Verteidigung der Brücke durch die Stadt herbey eilte, mit ins Lager zurück. Hier gab er sogleich Befehl zum Abbrechen desselben, und die Bagage nahm den Weg nach Dessau.

Muthig harrten indessen die Preußen an der Brücke der Ankunft des Feindes, welcher, als er sich genug verstärkt sah, im Sturmschritt über die Wiese eilte, die auf dem Damme aufgestellten, durch sein nahes Gewehrfeuer geschwächten Preußen, durch eine plötzliche Schwenkung seines rechten Flügels auf den Anfang der Brücke, abschnitt, und alles, was sich nicht ergab, oder fliehen konnte, in der Wuth niedermachte. Beyde Kanonen wurden erobert, und sogleich von den Siegern gegen die fliehenden Preußen gebraucht, von denen noch viele auf der Flucht der Tod ereilte. In wenigen Minuten waren die drey, über die Saale führenden Brücken erobert, und die Franzosen drangen mit den Flüchtlingen in das Thor hinein. Ausgestorben schien die Stadt, nirgend ein Mensch zu sehen, kein Laut, außer dem Getöse des Kampfes zu hören, alle Thüren verrammelt, keine mitleidig den armen Flüchtlingen eröffnet. Jeder wich vom Fenster in den Hintergrund zurück, man verbarg sich in die entlegensten Winkel. – Die Franzosen verfolgten den Feind die Clausstraße hinauf und in die Nebengäßchen, wo eine große Anzahl Preußen ihr Grab fand, bis auf den Marktplatz. Die ersten auf demselben waren einige leichte Cavalleristen, welche sogleich den Preußen über den Markt weg in die Galgstraße folgten. Eben formirte sich vor dem Rathause eine vom Lager aus, zur Beschützung der Brücke, beorderte Compagnie, sie gab Feuer, kein Franzose fiel, die Feinde drangen ein, zersprengten die Compagnie, und jagten sie in die Galgstraße hinein. Indeß marschierte ein Bataillon zum Galgthore hinein, die Straße zum Markt hinunter, als ihm die Flüchtigen, zum Theil verwundet, entgegen kamen, durch ihre Reihen unaufhaltsam hinstürzten und Furcht und Schrecken verbreiteten. Und jetzt erschien der siegreiche Feind, ihre Brüder mordend in der Straße und schoß unter sie. Schrecklich war die Scene, welche sich jetzt dem Auge darbot. Eine lange ziemlich breite Straße, von Soldaten vollgedrängt, welche der Schrecken entmannt hatte, welche außer Stande auf diesem Terrain dem wüthend eindrin- genden Feinde Widerstand zu leisten, jetzt ihre Waffen und ihr Gepäck fortwarfen, um desto leichter fortzukommen. Wie leicht wurde dem Feinde der Sieg! Nirgends konnten die Preußen entrinnen, der Seitengäßchen sind wenige, die Häuser waren alle verschlossen, die Flucht ging die lange Straße hinauf, durch das Thor, in der Richtung der Französischen Kugeln, jede Kugel traf, was nicht fliehen konnte, was sich nicht ergab, wurde niedergestoßen, und der Feind drang zum Galgthore hinaus.

Doch hier wurden seiner Siegesbahn Schranken gesetzt. Die Preußen erwarteten ihn am Thore der Vorstadt, durch eine Batterie auf dem Hügel, worauf der Galgen steht, unterstützt. Der Muth der Franken stürmte mehrmahl zum Thore hinaus, die Muthigen sanken, und Leichenhügel versperrten den Nachfolgenden den Weg. Indessen hatten andere das Steinthor erobert, wurden aber von den Preußen hier eben so, wie am Galgthor, empfangen. Nur das Ulrichsthor war von den Preußen nicht besetzt, und ein Theil Französische Cavallerie sprengte durch dies Thor hinaus und bedrohte die rechte Flanke der Preußen. Endlich entdeckten die Franzosen am Galgthore einen Weg durch den Hof des Gasthauses zum Hirschchen an die niedrige Erdmauer der Vorstadt, kletterten über dieselbe hinweg, und kamen so den Preußen in die linke Flanke. Jetzt stürmten sie mit verdoppelter Anstrengung zum Thor hinaus, überwältigten die Preußen, eroberten die Batterie. Alle anderen Thore wurden frey; die Franzosen drangen hinaus und formirten ihre Schlachtordnung. Der Versuch des Generals v. Usedom die Stadt wieder zu erobern, wurde mit Verlust abgewiesen, und den Preußen blieb nichts, als ein guter Rückzug übrig, welchen aber die hartnäckige Verfolgung bald in eine vollkommene Retirade verwandelte.

Während man so muthvoll an den Thoren kämpfte, langte das Regiment Treskow, welches von Rothenburg kam, um über die hohe Brücke und durch die Stadt ins Lager zu rücken, auf den Weinbergen bey Halle an. Und welch ein schrecklicher Anblick stellte sich ihm dar. Ohne Kunde von der Ursache des gehörten Schießens, erblickte es jetzt von der Höhe der Hügel ein Schlachtfeld und den Feind im Besitze der Brücke, welche man passieren mußte. Noch ehe man hier einen Entschluß fassen konnte, sah man sich von der in der Haide aufgestellten Reserve attakirt. Die Braven bildeten schnell ein Bataillon quarré, welches aber eben so schnell von dem lebhaftesten Kartätschenfeuer des Feindes zersprengt wurde, der jetzt mit dem Bajonett eindrang. Vergeblich war jeder Versuch zum Widerstande, die Reihe geriethen in Unordnung, und das ganze Regiment floh in der größten Verwirrung nach dem Dorfe Kröllwitz zu, in der Hoffnung, hier vielleicht über die Saale entkommen zu können. Sie gelangen auf den Gipfel der hohen Felsen, welche das Dorf umziehen, und sehen ihre Hoffnung getäuscht. Sie wollen umkehren und weiter fliehn, die hin teren, vom Feinde hart bedrängt, treiben die vorderen, und stürzen sie in das enge Thal, in welchen Kröllwitz liegt, hinunter. Hier denke man sich die Lage dieser braven, hingeopferten Leute, auf einem schmalen Strich Landes, den auf einer Seite die Saale, auf der anderen eine schroffe Felsenwand beschränkt; oben den Feind, der ihnen auf die Köpfe feuert, und von allen Seiten auf sie eindringt; welche Wahl blieb ihnen hier, als Gefangenschaft, Tod, oder der Versuch durch Schwimmen beyden zu entrinnen? Viele, die es versuchten, fanden in den Fluthen ihr Grab, von ihren Leichen standen die Räder, der am Ende des Dorfs gelegenen Papiermühle still. Das Regiment ergab sich. Ein Fahnenjunker, v. Kleist, der sich und seine Fahne nicht in den Händen des Feindes sehen wollte, zog den Tod der Schande vor, wickelte die Fahne um den Leib, und stürzte sich in die Saale.

Erobert war jetzt die Stadt, die Preußen überall geschlagen und verfolgt, viele Gefangene und große Beute ge macht, die Wuth abgekühlt, und allgemach kehrte Leben in die verödeten Straßen zurück. Man sorgte für die Unterbringung der Verwundeten, Gefangenen und Sieger. Man suchte die auf der Wahlstatt liegenden Verwundeten auf, und hierbey zeigte sich der Französische Charakter in einem schönen Lichte. Der Franke trug gleiche Sorgfalt für den Verwundeten, von welcher Nation er auch seyn mochte, und sorgte früher für den schwer verwundeten Feind, als für den leicht blessirten Camerad. Der Schießgraben, das reformierte Gymnsasium, die Moritzburg und viele Häuser der Stadt und der Vorstädte wurde mit Verwundeten angefüllt.

Die Preußischen Kriegsgefangenen sperrte man in die Marktkirche und in das Zuchthaus. In der Kirche zerstörte diese Menge müßiger Leute in ihrem Übermuthe alles Mobile, und auf dem Zuchthause befreyten sie die Züchtlinge nebst den dort verwahrten Wahnsinningen und jagten sie auf die Straße, wo mehrere derselben, bis zu ihrer Wieder aufgreifung manchen Exceß begingen. Den gefangenen Offizieren wurde der Gasthof zum goldnen Ringe zum Aufenthalte angewiesen.

Die siegreichen Truppen kehrten erst gegen Abend in die Stadt zurück. Noch während der Verfolgung des Feindes wurde theils von einigen Marodeurs, theils von einigen leicht Verwundeten manche Plünderung und Mißhandlung der Bürger verübt. Fürchterlicher wurde die Scene, als das ganze Korps zurückkehrte. Vom Widerstande erbittert, vom Kampfe noch erhitzt, kehrte der Soldat in die Stadt zurück, in die erste Stadt der feindlichen Nation, welche heute erst im Sturm genommen war. Es war unmöglich, allen Ausbrüchen der Laune des siegtrunkenen Siegers Einhalt zu thun. Ein bedeutender Theil der Einwohner waren Studenten, und da nur wenige Häuser verschont blieben, so verloren auch die meisten alles, was sie hatten, Wäsche, Kleidung, Stiefeln, Kostbarkeiten, ja selbst Bücher und Instrumente. Das weibliche Geschlecht mußte viel von dem Sieger erdulden. So ging für Halle der Tag und ein großer Theil der Nacht hin, bis der von der Arbeit des Tages ermüdete und vom Weine berauschte Krieger in die Arme des Schlafs sank.

Heute früh, ohne Ahndung, ohne Nachricht von dem Verluste der Schlacht und der Nähe des Feindes, von einem starken Heere beschützt, sah sich die Stadt in wenigen Minuten in der Gewalt der Franzosen, ihre Straßen das Sterbebett ihrer Vertheidiger und die Habe ihrer Bürger der Plünderung eines erbitterten Feindes Preis gegeben.

Während des Gefechtes an dem Galg- und Steinthore, flogen mehrere Preußische Kanonenkugeln in die Stadt, doch ohne sonderlich Schaden anzurichten, beym Sturme auf die hohe Brücke aber wurde ein Friseur, welchen seine Neugierde nebst mehreren Einwohnern hinaus vor das Thor geführt hatte, mit einer Flintenkugel durch den Mund, und ein Student, dem ein Soldat auf der Straße die Uhr abnehmen wollte, durch die Schulter geschossen. In der Ulrichstraße wurde nahe am Thore ein Knabe von der hinaussprengenden Reiterey übergeritten, und starb bald nachher. Auch ein Bürger D... wurde verwundet. Dieser Mann, der seiner Anhänglichkeit an das Preußische Haus und seiner excentrischen Ideen wegen, in Halle bekannt genug ist, führte eine reitende Batterie durch die Stadt gegen den Feind; als diese durch den Herzog Eugen außer Thätigkeit gesetzt wurde, stellte er sich an die Spitze von einigen Füsilieren und drang vor. Eine Kartätschenkugel zerschmetterte ihm die Hand, und er floh mit dem Heere.

Ausgezeichnet war die Bravour der Truppen von beyden Seiten, besonders aber zeichneten sich die wenigen, die Brücke vertheidigenden Tapfern aus. Ihre zwey Feldstücke demontierten mehrere feindliche Kanonen, indes sämmtliche Kanonen des 32sten und 96sten Linien- und des 9ten leichten Infanterieregiments ihnen nichts anhaben konnten. Standhaft blieben die Preußen auf ihrem Posten, kämpften, von ihrem Chef selbst der Unterstützung beraubt, gegen die Uebermacht, und kehrten erst dann den Fuß zur Flucht, als der Feind mit dem Bajonett in ihre geschwächten Haufen eindrang. Am Galg- und Steinthore ward ihr Streben, den Feind zurückzutreiben, nicht mit einem glücklichen Erfolge gekrönt, dennoch war auch diese Stelle an Heldenthaten nicht arm. Die wackern Pommern opferten muthvoll ihr Leben, um dem Feinde einige Minuten länger den Ausweg aus dem Thore zu versperren.

Die Sieger zu loben bedarf es hier nicht. Sie waren tapfer, denn sie besiegten die Tapferen, und in ihrer Mitte, fehlte es nicht an Zügen eines hohen Muhtes, einer ruhigen Gelassenheit in der Todesgefahr, aber auch nicht an Zügen der Menschlichkeit und der Großmuth.


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