Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Drei und zwanzigstes Kapitel

Als sie in ihre Kammer trat, warf sie sich mit den Kleidern aufs Bett und ließ ihre wunden Augen weinen, so lange sie wollten. Ach, diesem guten, edlen Menschen habe ich seine Hoffnungen und seine Freuden genommen, rief ihr Inneres mit allen seinen blutenden Wunden, und wie leicht wär' es mir gewesen, ihn mit ein wenig Verläugnung meiner selbst froh und glücklich zu machen. O, hätt' ich meine unbesonnene Liebe überwinden können und ihm die Hand gegeben, von der er sich so vieles Glück versprach! – Sein argwohnloses Herz hätte nie geahndet, daß eine heftige Leidenschaft das meine erfüllte, und meine ruhige Ergebenheit hätte ihm genügt! Nach und nach wären in einem bürgerlichen, häuslichen Leben, wie es sich für mich schickte, die bunten, strahlenden Farben verblichen, mit denen ich mir Wodmars Liebe mahlte, und der Sieg über mich selbst hätte meines Vaters Sterbestunde erheitert. Ach, und alles dies hätte mir nichts gekostet, als die Aufopferung einer Liebe, die mir nun so grausam mit aller Ruhe und Heiterkeit aus dem Herzen gerissen wurde, daß es an der Leere brechen wird, die darin zurück blieb! –

Der sanfte Mond erhellte nach und nach ihr kleines Gemach, aber in ihrer Seele blieb düstre Nacht und ununterbrochne Schwermuth. – Und wie, fuhr sie fort mit ungestillten Qualen sich zu denken, wie, wenn er noch jetzt den Flecken, den die Vergangenheit unverdienter Weise auf meinen guten Namen wirst, wieder auslöschen wollte, indem er mir erlaubte, den seinen zu führen? – – Würd' ich, könnt' ich es annehmen? – Könnten auf den Trümmern dessen, was ich ehedem war, noch Blumen der Freude für ihn sprossen? – Nein, nein, rief sie dann laut unter neuen Thränen, nein, Ludwig, Du verdienst mehr, als ich Dir seyn kann, Du verdienst eine Gattin, die Dir frey ins Auge zu sehn vermögend ist, ohne daß es feucht und beschämt zu Boden sinken muß, bey der Erinnerung voriger Zeiten.

Schlaflos brachte sie die Nacht unter Schinerzen hin, die sie sich selbst machte, und wie mit einem Fieber kämpfend fand sie Liese am andern Morgen mit erhitzten, geschwollenen Augen, die die Spuren des Wachens und des Weinens trugen. Marie erklärte ihr alles, ihr ehemaliges enges Verhältniß mit ihrem Vetter Ludwig, den sie in dem Förster wieder gefunden hatte, ihre Erwartungen eines erneuerten Antrags, und ihren Entschluß, ihn auszuschlagen. Liese fand diesen Vorsatz unbillig und unklug. Wenn jemand einen Fehler begeht, sagte sie, und bereut ihn, und möchte ihn gern ungeschehen machen, – ists denn da nicht unsre Schuldigkeit, ihm zu vergeben? – Und wie viel mehr ist der nicht zu entschuldigen, der ohne zu wollen fehlte, und demohngeachtet so herzlich bereut, wie Sie? Nein, Jungfer Mariechen! gebe Sie ihm in Gottesnamen Ihr Jawort, wenn er es verlangt, und mache Sie Sich keinen Kummer über das, was geschehn ist. Und wenn Sie auch selbst mit Wissen und Willen in Unehren mit dem Grafen gelebt hätte, so müßte man doch wegen Ihres guten, frommen Wandels nachher ein Auge zudrücken, und der Mann wäre immer noch glücklich zu schätzen, der Sie bekäme. Bedenke Sie auch, daß Sie dem Förster für manches Herzeleid Entschädigung schuldig ist, das Sie ihm zugefügt hat, und daß es im Alter wohl thut, wenn alle Bekannten um uns her sterben und uns vorangehn, einen treuen Freund, der bei uns aushält, und liebe Kinder zu haben, die uns die Augen zudrücken.

Liese würde ihr noch mehr Gründe vorgelegt haben, wenn nicht ein Morgenbesuch des Försters ihre Rede unterbrochen hätte. Sie hielt sich nun für überflüssig, lächelte fromm und bedeutend auf Marien und entfernte sich mit der Zuversicht, daß er mehr auf sie wirken werde, als sie. Ludwig erschrak, als die erste Röthe der Ueberraschung vorüber war, die sein Kommen auf ihre Wangen trieb, über die kranke, leidende Gestalt, die ihm weniger bleich und zusammen gebrochen im Rosenlichte des gestrigen Abends vorgekommen war, – über das lebensmüde Auge, mit dem sie ihn ansah, und über die blassen Lippen, mit denen sie sich bemühte, zu lächeln. Marie, meine geliebte Marie! Du bist sehr krank! rief er aus, heftig bewegt von ihrem Anblick, der ihn einst in der vollen, frischen Blüthe der Gesundheit so sehr entzückt hatte. –

Ich bin es, Ludwig! versetzte Marie sanft, aber in meinem Herzen wohnt meine Krankheit. – Wie ein Leichenstein liegt der Kummer auf meiner Brust und seine Schwere wird sie erdrücken. Aber ruhig, glücklich wird sie nicht eher seyn, bis sie der wirkliche Leichenstein auseinander preßt!

Ludwig konnte seine Augen nicht mehr beherrschen. O Marie, rief er, könnte denn meine innige Liebe den Gram nicht vermindern, der Dich darnieder beugt? Könntest Du wirklich dem Manne, den Dein guter Vater einst werth hielt, Dich zu besitzen, die süße Sorge für Dein Glück verweigern? – Ich will ja Deine Liebe nicht, denn ich weiß, daß sie noch immer dem Verräther gehört, so gern Du Dir Deine Gefühle auch selbst verbergen möchtest. Ich will nur Deine Freundschaft, nur das Recht, Dir so viel Freuden zu geben, als ich kann!

Marie sank erbleichend, fast ohnmächtig in seine Arme. Nein, Ludwig! sagte sie rasch, ich lieb' ihn nicht mehr, weil ich ihn tief verachte! Aber was willst Du mit mir, Du, der Du das beste, glücklichste Mädchen verdienst? – Nein, laß mich einsam weinen, weinen, daß ich das beglückende Gefühl meiner innern Ruhe verloren habe, und dann sterben!

So stirb an meinem Herzen! sagte Ludwig, und diese feierliche Minute schloß den Bund der Freundschaft und der Liebe. Marie versprach ihm die Seinige zu seyn.

Als es allmählig ruhiger in ihnen wurde, erzählte ihr Ludwig seine Schicksale seit ihrer Trennung. Mit den süßesten Hoffnungen, die ihn zu einer lachenden Zukunft berechtigten, war er mit seinem Prinzen ausgereiset, aber bald wiegte die immer zunehmende Entfernung seine Seele in eine düstre Schwermuth, die seinem Herrn nicht entging. Er gestand ihm seine Liebe, seine Sehnsucht nach der Geliebten, und seinen Wunsch, sie auf immer zu besitzen. Der Prinz hörte ihm theilnehmend zu, sagte aber nichts darauf. Ohngefähr zehn Monate nach ihrer Abreise rief ihn der Prinz zu sich. Geh' und sei glücklich! sprach er mit nassen Augen, indem er ihm seine Bestallung als Forster auf dem Waldenberg gab, um die er sich heimlich für ihn bemüht hatte. Und wenn Du recht froh mit Deinem jungen Weibe lebst, so denke auch an mich und bedaure mich, den Schicksal und Konvenienz auf ewig von dem Ziel seiner Wünsche scheiden. – Der Prinz liebte ein Mädchen unter seinem Stande. – Sie zu vergessen und ihre gefährliche Nähe zu fliehen, that er diese Reise. Ludwig konnte nie ohne die tiefste Achtung und Rührung von der Würde sprechen, mit der er seine hoffnungslosen Leiden trug. –

Auf den Flügeln der Sehnsucht eilte er nun zurück, in der Hoffnung, seine Marie werde in froher Verwunderung sein Glück mit ihm theilen. Aber ihr Haus war leer, ihr Vater begraben, sie selbst verschwunden; – nur an ihrer Stelle fand er den Brief, der ihm fürchterlichen Aufschluß über alles gab, was ihm räthselhaft schien. – Er schwieg von dem heftigen Schmerz, den er empfand, da er sah, daß Marien seine Erzählung peinigte, die sie gleichwohl selbst von ihm gefordert hatte.

Er verließ die Stadt, die ihm nun unerträglich war, theilte die Summe Geld, die sie ihm beschieden hatte, unter ein paar arme Verwandten ans, und bezog mit finsterm, menschenfeindlichem Gram seinen Waldenberg. Eh' er sich noch auf immer der Einsamkeit überließ, die ihn erwartete, bemühte er sich um Nachrichten von dem Grafen von Wodmar. Man sagte ihm, daß er im vorigen Herbst sich mit einer jungen, schönen und reichen Gräfin vermählt habe, die einsam auf dem Lande lebte, da das Geräusch der Welt keinen Reiz für sie habe. Da stand ihm das ganze Bubenstück seines Nebenbuhlers vor den Augen. Er kannte Mariens strenge Grundsätze und ihre feste Tugend. Nur durch eine Scheinheurath war es möglich gewesen, zu ihrem Besitz zu gelangen. Bald loderte das Feuer seines Zorns zu dem Vorsatz auf, dem Betrüger die Maske zu entreißen; – bald aber, wenn er ihren Brief von neuem überlas, sagte er zu sich selbst: Warum soll ich die goldne Täuschung vernichten, in der sie so selig schwärmt? Ach, sie würde doch an meinem Herzen keinen Ersatz finden für den süßen Traum, aus dem ich sie weckte! – – So zog er sich ganz von der Welt in die Stille seines ländlichen Lebens zurück und ihr Andenken schwand nie aus seiner Seele, die sie immer betrauerte.

Auch Marie theilte ihm, nicht ohne innern Kampf, ihr voriges Leben mit, und schilderte ihm unparteiisch und treu ihre Bekanntschaft mit Wodmar, ihre Liebe, ihre Verbindung und dann die Entdeckung seiner Verrätherey. Es griff sie an, von Dingen zu sprechen, die ihr nur die bittersten Erinnerungen erwecken konnten. Ludwig bemerkte es. Erzähle mir nichts mehr, meine gute Marie! sagte er schonend und sanft. Wende Deinen Blick weg von den trüben, vergangenen Tagen und schaue froh in eine bessere Zukunft. Ich weiß ohne Dein quälendes Geständniß, daß Deine reine Seele unfähig war, sich zu verirren. – Marie weinte seiner Güte Thränen des Danks und der Rührung. –

Ludwig blieb den ganzen Tag bey ihr und die gutmüthige Liese war außer sich vor Freude über ihren schnell gelungenen Plan. Am Abend führte er seine Geliebte ins Freye und besuchte mit ihr die hohe Eiche, unter der er sie wiederfand. Stumm und selig ging er neben ihr her, – schweigend und voll sanfter Wehmuth folgte Marie den grünen Spuren des Weges an seinem Arm, die sie gestern noch einsam betrat. Das volle, glühende Abendroth goß selbst auf die östlichen Wolken seinen reizenden Purpur aus, – die Abendglocke tönte melodisch durch die stille Luft, die sie umgab, und schien ihr in dieser rosenfarbenen Minute der Nachhall ihrer ersten Jugend zu seyn, in der sie einst mit ähnlichen Aussichten, wie jetzt, nur nicht so traurig, vor Ludwig stand. Aber in ihre süß gerührte Seele drang die herbe Vorstellung von allem, was sie ehemals davon geschieden hatte. –


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