Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Zwanzigstes Kapitel

Marie machte mit diesem Fuhrwerk einige Tagereisen, und es war ihr gleichgültig, in welchen Winkel der Erde es sie führen würde. Die ganze Entwickelung ihres Schicksals dünkte ihr ein fürchterlicher Traum zu seyn, aber vergeblich sah sie dem lindernden Augenblick des Erwachens entgegen. Abgeschiedenheit von der Welt und ihren Täuschungen war das einzige, was sie noch wünschte, und wohl ihr, daß ihre Fantasie ihr ihr Unglück mit ungewissen Farben malte, sie oft ganze Stunden in dem Wahn ließ, als habe sie geträumt, – sie würde sonst der Schwere desselben unterlegen seyn. – So gewöhnte sie sich nach und nach, fest ihren Blick auf die untergesunknen Trümmer ihrer ehemaligen Seligkeit zu heften; – sie gewöhnte sich daran mit einer Ruhe, die nur das Bewußtseyn der reinsten Unschuld gewährt, mit einer Verachtung, die an Größe ihrer vorigen Liebe glich, dem fliehenden Schattenbild ihrer Freuden nachzusehn, und an den Unwürdigen zurück zu denken, der ihr ehedem so werth war. Nicht als ob es ihr leicht geworden wäre, ihn zu vergessen; – o nein, wahre Liebe, besonders wenn es die erste ist, die sich eines Herzens bemächtigte, baut ihrem Abgott in dem Heiligthum seines Innersten einen Altar, den nur mühsam die Hand der Zeit, selbst der gegründeten Verachtung, umzustürzen vermag. Aber wenn sie das gefährliche Gift der Liebenden, die schwärmerische, süße Erinnerung ihres sonstigen Glücks mit vollen Zügen schlürfen wollte, mischte sich ihr gemißhandeltes Gefühl in das Andenken jener reizenden Vergangenheit, und verschwunden war dann die Glorie von Schönheit und Edelmuth, mit der ihre Einbildungskraft den Ungetreuen umgab. – Sie lernte ihn verachten, und in einer reinen, weiblichen Seele ist dies der erste, entscheidendste Schritt zum ewigen Vergessen. – Mit der Achtung lösen sich die zartesten Bande des gegenseitigen Vertrauens auf, und die Liebe stirbt mit ihr dahin.

Am vierten Tage, als Konrad ruhig neben dem Karrn herging, und eben sein Morgenlied sang, erhob er auf einmal freudig Blick und Hand, und rief mit einer Stimme voll Gefühl und Rührung: Dort, dort! indem er auf eine Kette von blauen, mit Duft umflossenen Gebirgen wies, die sich ihnen aus der Ferne entgegen hob; dort, setzt' er endlich hinzu, dort wohnen meine Frau und meine Kinder!

Die nahen Freuden des Wiedersehns machten ihn stumm, und Marien ihre Plane für die Zukunft. Sie hatte mit ihrem gutherzigen Freund ausgemacht, daß sie gegen ein billiges Kostgeld, welches Liese bestimmen sollte, in seiner Hütte leben, und sich ganz nach ihrem eignen Willen beschäftigen wollte, – aber die tiefe Schwermuth, die ihr ihr Unglück gab, bedurfte so sehr eines theilnehmenden Wesens, dem sie ihren Kummer ausschütten konnte, um sich seine Bürde zu erleichtern, – sie war so sehr an einen vertraulichen, ihr angemeßnen Umgang gewöhnt, daß sie zum erstenmal bereute, die Bedenklichkeiten ihrer Muhme, ihr zu folgen, nicht mehr bestritten zu haben. Der Gedanke war ihr unerträglich, sie noch in Nesselfeld und abhängig von den Wohlthaten des Grafen zu wissen. Oft dachte sie an ihn zurück mit einer sonderbaren Mischung von halb erstickter Liebe und und Unwillen. Sie dachte sich sein Erschrecken, wenn er sie nicht wieder finden würde, seine Trauer um ihren Verlust, seine Reue über sein Verbrechen. O, dann war ihr Herz nur gar zu geschäftig, sein Bild mit den vortheilhaftesten Farben sich zu entwerfen, und ihren Zorn zu mildern. – Weinend blickte dann ihr Auge zurück, in die festlichen Tage der Vergangenheit, und nicht selten beschlich sie der leise Wunsch, der ihr allezeit eine Schamröthe kostete, daß sich der Schleier von neuem fest und dicht in einander weben möchte, der ihr ehemals die Tücke seines Herzens verhüllte, oder – diesen gestand sie sich schon selbst mit weniger Beschämung: daß er sich entschuldigen könnte, um doch wenigstens ihre Freundschaft zu verdienen. Aber alles war umsonst! – Zertrümmert war mit ihrer Hoffnung auch ihre Ruhe, und ihr blieb nichts übrig zu ihrem Trost, als das stolze Selbstgefühl, sich edel betragen zu haben, das so oft der Betrogne vor dem Betrüger voraus hat.

Josephine war indessen nicht glücklicher. Sie hatte alles für ihn gethan, was Pflicht und Liebe forderten, und durch das Opfer ihrer ersten Neigung, das sie ihm gebracht, durch die ganze Hingebung ihres Wesens und durch die Innigkeit, mit der sie an ihm hing, glaubte sie die heiligsten Rechte auf seine Treue erworben zu haben. Was hätte wohl tiefer ihr feinfühlendes Herz verwunden können, als die Untreue des Mannes, den sie liebte, und der durch die feierlichsten Gelübde der Ihrige war! – Das Glück ihrer Ehe schien ihr unwiederbringlich dahin zu seyn! –

Wie oft bereute sie nicht den Einfall, ihn zu überraschen. Ohne ihn lebte sie noch glücklich in dem süßen Wahn, der ihr den Besitz seiner vollen Liebe und Treue vorspiegelte; – ohne ihn wäre auch Marie noch glücklich, für die sie Mitleid und Achtung empfand. Als man sie gegen Morgen vermißte, und ohngeachtet alles Suchens nicht fand, war sie außer sich. Sie fürchtete, ohne daß sie wagte, Frau Köhler ihre Sorge zu gestehen, daß die Arme, Verzweifelnde sich durch eine rasche Handlung möchte gewaltsam von dem vernichtenden Gefühl ihres Elends befreyt haben, und ihre Fantasie, die jetzt alles im schwarzen Licht erblickte, malte sich die schrecklichsten Bilder.

Endlich kam der Graf an. Schnell, und mit unruhig pochendem Herzen sprang er aus dem Wagen, und stürmte die Treppe heran. Ihm begegnete Frau Köhler. Wo ist Marie? fragte er, aber sie wandte sich mit einem Blick, der ihren ganzen Abscheu ausdrückte, von ihm weg, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Er öffnete verwundert die Thür ihres Zimmers, – wie dünkte es ihm so todt und verlassen! Marie, rief er, wo bist Du? – da trat Hannchen aus dem Schlafzimmer, und er erstarrte. Wie kommst Du hierher? schrie er mit einem fürchterlichen Blick, und sie erzählte ihm mit wenig Worten den ganzen Lauf der Sache.

Bey der Heftigkeit, die der Hauptzug seines Karakters war, schon vorher gereizt durch Frau Köhlers räthselhaftes Schweigen, stieg sein Zorn jetzt aufs Aeußerste. In seinen eignen Augen dünkte er sich in diesem Moment weniger strafbar als Josephine, die er für die neidische Zerstörerin seiner geheimen Freuden hielt. Der Gedanke, Marien verloren zu haben, ihr jetzt vielleicht eben so abscheulich als ehedem werth zu seyn, brachte ihn der Raserey nahe. Der Kastellan, das Hausgesinde, selbst die treue Pallas, die doch seinen Verlust zu theilen schien, mußte seinen Zorn fühlen; – er sandte alles aus, das Mädchen seines Herzens zu suchen, und die Nachricht, daß man keine Spur von ihr entdecken könnte, erhöhte seinen Schmerz und die namenlose Verzweiflung, die sich seiner Seele bemächtigt hatte.

Endlich gewann er es über sich, vor das Bett seiner Gemahlin zu treten. Madam, hub er mit strenger Stimme an, ich habe nicht gehandelt, wie ich sollte, aber ich kann mich entschuldigen. Die glühendste Liebe fesselte mich schon an Marien, eh' ich Sie noch kannte, und ihre Tugend vernichtete alle die Hoffnungen, mit denen ich nach ihrem Besitz strebte. Ich faßte den Entschluß, sie zu vergessen, denn ich bebte damals vor dem Gedanken zurück, sie zu betrügen, und mit dem Vorsatz, Ihnen, wenn auch nicht meine Liebe, doch meine Aufmerksamkeit zu weihen, kam ich, um den Wunsch unserer Familien zu erfüllen, und Ihnen meine Hand zu geben. O, Josephine! – seine Stimme wurde sanfter, und durch Wehmuth gebrochen, – weniger Stolz und mehr Wärme von Ihrer Seite hätte mich damals an Sie gefesselt, und die Wünsche nach belohnter Liebe, deren Ziel nun Marie lebhafter als jemals wurde, in mir erstickt. Ihre Nachsicht und Güte, nur mit dem leisesten Schimmer von Zuneigung verbunden, hätte meine wilde Leidenschaft bezwungen, meine leichtsinnigen Grundsätze verbessert, und mich zum guten, glücklichen Menschen gemacht. Aber ich fühlte nur allzu deutlich, daß Sie mit dem größten Kampf dem Befehl Ihrer Eltern folgten, und daß Sie mit blutendem, widerstrebendem Herzen mir aus Pflicht verstatteten, Sie zu besitzen. Die Kälte, die Sie mir wahrnehmen ließen, die gleichgültige Verachtung, mit der Sie meine Gesinnungen beantworteten, statt mir liebevoll und duldend den bessern Weg zu zeigen, empörte meinen Stolz, und befriedigte die Forderungen eines Herzens nicht, das einst von Marien geliebt worden war. – Ich mußte Sie achten, aber lieben konnte ich Sie nicht! In meiner Seele stieg Mariens reizendes Bild wieder auf, und die Sehnsucht nach ihrem Anblick erwachte mit doppeltem Feuer, da der Ihrige nur meine Eigenliebe verwundete, und mir die Achtung für mich selbst raubte.

Diese allein war vorher der Schutzengel, der über Mariens Tugend und der meinigen wachte. Ich erröthete oft vor mir selbst, wenn ich mich beim Nachsinnen der Möglichkeiten antraf, durch die Marie auf eine unrechtmäßige Weise mein werden konnte. Ich hielt mich für besser als ich war, und dieser Glaube schützte mich vor dem Sinken. Aber nun, als er dahin war, als Ihr Stolz auf Ihre unbefleckte Tugend mir so bitter hatte fühlen lassen, wie viel mir fehlte Ihnen gleich zu seyn, – da wagt' ich es Pläne zu entwerfen, und Dinge zu denken, vor denen ich sonst mitten in meinen Ausschweifungen zurück geschaudert wäre. Ich sah Marien wieder, – ich gewann sie durch das Versprechen einer heimlichen Heyrath, – sie wurde vollzogen, und ich lernte von diesem guten, edlen, sanften Geschöpf in glücklichen Stunden, die nur das Bewußtseyn meines Betrugs trübte, welche unglaubliche Kraft die moralische Natur des Menschen hat, sich unter dem Beyspiel bescheidner, schonender Güte wieder empor zu richten und zu veredeln, wenn sie auch noch so tief gesunken ist. –

Ich empfand wieder den Werth meiner Bestimmung, fühlte wie ich hätte handeln sollen, und bereute mein Vergehn, trotz dem Glück, das ich in Mariens Armen fand. Auch daß ich gegen Sie meine Pflichten verletzt, und gewissermaßen Ihr Geringschätzung durch meine Handlung gerechtfertigt hatte, vermehrte meinen Kummer, aber ich sah Marien glücklich in ihrem Wahn, und gelobte mir, ihn zu verlängern, um ihrer Ruhe zu schonen. –

So sah ich Sie wieder, und fand Sie verändert. Wo ich Fremdheit und Gleichgültigkeit erwartete, kam mir Liebe und Sanftmuth entgegen, und unsre gemeinschaftlichen Hoffnungen auf den Knaben, den Sie unter Ihrem Herzen trugen, knüpften mich mit den Banden der innigsten Achtung und des wärmsten Antheils an Ihr Wesen. Aber ach! es war zu spät, den Besitz meiner Liebe zu verlangen. Er gehörte Marien, die ihn durch tausend liebenswürdige, früher erkannte Eigenschaften erworben hatte, und die auch trotz der Ferne mir nahe blieb, und immer auch durch andre Gegenstände zerstreut, meiner Seele gegenwärtig war!

Das Geheimniß meiner Liebe zu Marien ward Ihnen verrathen, und Sie benutzten meine Abwesenheit, ein Glück zu zerstören, das mir die Vorwürfe meines Gewissens so oft verbitterte. Zu gut ist es Ihnen gelungen, und Marie ist für mich auf immer verloren, – ist vielleicht ein Raub ihres Schmerzes geworden. – Aber triumphiren Sie nicht! Ich bin strafbar, und bekenne es frey, aber Sie wissen, warum ich es ward, und ich finde Entschuldigung genug in meinen Gründen für mein Betragen gegen Sie, und Strafe genug durch die ewig tobende Hölle in meiner Brust bei der Erinnerung meiner betrognen, unvergeßlichen Marie! Leben Sie glücklich, aber fern von dem Menschen, der Ihnen nun nichts mehr seyn kann. Ich will mich bemühen, mit Ergebung mein grausames Schicksal zu tragen, und Marie soll die Gottheit meiner reuigen Thränen seyn. Sorgen Sie für meinen Sohn, und bedauern Sie seinen Vater, den Ihre unselige Neugierde und Eifersucht unglücklicher machte, als es sein eignes Herz im Stande war.

Mit diesen Worten entfernte er sich rasch, ließ in die väterliche Umarmung des Kleinen, den ihm Hannchen entgegen trug, um ihn zu besänftigen, eine glühende Thräne fallen, und verließ sogleich den Schauplatz seiner ehemaligen Freuden.


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