Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Achtes Kapitel

Sie ging zu ihr mit einer niedergeschlagenen Miene. August ist sehr krank, sagte sie, – Josephine wurde so bleich, wie ihr Gewand. Krank? – wiederholte sie mit bebenden Lippen. – Ja, versetzte Madam Wilmuth. Ein geheimes Leiden der Seele, vielleicht eine unglückliche Liebe, sagte der Arzt, wird ihn – –

O, Himmel, schrie Josephine, indem sie schnell aufsprang, und kraftlos wieder zurück fiel, er stirbt, und ich, ich bin seine Mörderin!

Madam Wilmuth sah sie mit einem befremdeten Blick an. Was fällt Ihnen ein, was ist Ihnen, Josephine? – Ach können Sie mir verzeihen? – Nein, niemals, niemals werde ich mir selbst vergeben, rief die Gräfin, August liebte mich, er gestand mir's, ich liebte ihn wieder! – Aber die Vorurtheile, die Strenge meiner Eltern, die ich kannte, – ach ich benahm ihm jede Hoffnung, weil ich's für meine Pflicht hielt; – aber jetzt, – ihn zu retten ist auch eine Pflicht, und ich muß, ich will sie erfüllen. – –#

Wie Josephine? sagte Madam Wilmuth sehr ernsthaft, so schnell können Sie Ihre Entschlüsse ändern? Einen Vorsatz, den Sie Sich selbst, den Sie Ihren Eltern schuldig zu seyn glaubten, der sich auf eine feste, ruhige Ueberlegung gründete, diesen könnten Sie auf einmal in einem leidenschaftlichen Augenblick aufgeben, um dann lebenslang Ihre Unbesonnenheit zu bereuen? – Josephine stand vor ihr mit gesenktem Auge, und tief erröthenden Wangen.

Es ist wahr, hub sie endlich an, ich glaubte, es sey meine Pflicht, die Stimme zum Schweigen zu bringen, die so laut in meinem Herzen zu Augusts Vortheil spricht. – Meinen Eltern, die meine Neigung niemals billigen würden, bin ich das Leben schuldig, – Ihnen, theure Freundin! mehr als dies. Sie lehrten mich gut seyn, und zeigten mir den Weg des Friedens, indem Sie mir gute Grundsätze einflößten, und meinen Begriffen eine richtige Stimmung gaben. – – Wenn nun August ohne mich nicht leben kann, so wie ich ohne ihn gewiß nie glücklich bin, o wodurch könnte ich Ihnen meinen Dank und meine Zärtlichkeit stärker beweisen, als wenn ich durch die freiwillige Entsagung aller meiner Ansprüche Ihnen einen Sohn, mir einen Mann erhielte, den wir beide lieben, der mir alles ersetzen wird, was ich ihm opfere, – alles! – Ihr Auge füllte sich mit Thränen. – Meine Eltern! rief sie weinend aus, aber mit Fassung setzte sie hinzu: Ja, auch meine Eltern! Heilig sind die Rechte, die Sie, meine zweite Mutter, auf mich haben, sie geben meiner Liebe die Sanction der Pflicht.

Nein, meine Josephine! antwortete Madam Wilmuth innig gerührt. Weder ich noch August können die Opfer annehmen, die Sie uns bringen wollen. Ihre Eltern vertrauten mir in Ihnen ihren größten Reichthum, ihre einzige Hoffnung an. Ich habe den fruchtbaren Boden gebaut, den ich fand, und bin reichlich belohnt für jede kleine Mühe, die mir Ihre Erziehung machte, durch die Folgsamkeit, mit der Sie meine Lehren annahmen. Wenn ich mir Rechte auf Ihre Dankbarkeit erworben habe, o so bitt' ich Sie, Josephine! bleiben Sie bei Ihrem ersten Vorsatz, der für ihre Ruhe und die meinige am heilsamsten ist, – nehmen Sie die Hand des Gemahls an, den Ihnen Ihre Verwandten gewählt haben, und bleiben Sie immer die Freundin meines Sohns. Er ist nicht so krank, als ich ihn schilderte; – mußt' ich nicht diesen Kunstgriff brauchen, um Sie zur Sprache zu bringen, da eine gegenseitige Erklärung uns so nothwendig war? – Der Balsam der Freundschaft wird ihn heilen, und die Ueberzeugung, daß Ihr Glück von ihm Entsagung fordert. Glauben Sie mir, und wär' er auch dem Tode nahe, so würd' ich ihn doch lieber sterben, als Sie in Ihrer Pflicht wanken sehn. Nein, meine Liebe! vergessen Sie einen jungen Mann, den die Leidenschaft hingerissen hat, zu sprechen, wo er ewig hätte schweigen sollen, und sehen Sie mit Muth in die Zukunft, die auch ohne ihn Ihren Weg mit Blumen bestreuen wird. Dies Erwachen der ersten Gefühle, wie oft betrügt es nicht die jungen, unerfahrnen Herzen, welche glauben, daß von ihm das ganze Glück des Lebens abhängt, und daß es zertrümmert ist, wenn Verhältnisse sich den ersten Wünschen entgegen stellen. Ach, Josephine, die erste Liebe macht nur selten, fast möcht' ich sagen, nie glücklich; denn sie ist nur ein Rausch, der die Sinne fesselt, die noch nicht wissen, was sie wollen. Und wenn er verfliegt, – o was vermag dann die Leere auszufüllen, die wir überall empfinden? Mit überspannten Erwartungen erreichen wir das Ziel unsrer Hoffnung, wenn es uns erlaubt ist, uns ihm zu nähern, und fast immer sehn wir, daß die rosenfarbnen Träume schwinden, eben wenn wir glauben, daß sie in schönere Wirklichkeit übergehn sollen.

Ach, seufzte Josephine, werd' ich nicht ewig mein Loos beweinen müssen, wenn August nicht mein wird? Wie werd' ich einen Andern lieben können, wenn Er in meiner Seele herrscht? –

Achtung und Freundschaft sind Gefühle, versetzte Madam Wilmuth, die die Liebe ersetzen, und überleben. Sie werden glücklich seyn, Josephine! wenn Ihr künftiger Gemahl Ihnen beides einflößt, und auch er wird ein besseres Loos haben, als wenn Sie ihn liebten, wie Sie vielleicht August lieben.

Wie meinen Sie das? fragte Josephine verwundert.

Leidenschaft, fuhr Madam Wilmuth fort, nimmt uns die Gewalt über uns selbst, durch die wir erst Glück und Freude in die geselligen Zirkel verbreiten können, die uns umgeben. Sie stumpst den scharfen Blick ab, den ein freies Herz in die Welt wirft, und wie können wir ohne diesen Blick sehen, was dem Gegenstand wohl oder wehe thut, den wir beglücken wollen? – Ach, Josephine! unsere Bestimmung ist ja, mit Selbstverläugnung die Seufzer der Sehnsucht zu ersticken, die unsre Brust heben, und die Rosen, die auf unserer Laufbahn blühn, zu entblättern, um sie auf die Wege Andrer zu streuen. Wollen Sie ihn nicht erfüllen, diesen traurig-schönen Beruf der Entsagung? – Kann Sie das Bewußtseyn nicht trösten, daß Sie die Wünsche Ihrer Eltern auf Kosten der Ihrigen befolgt haben? –

Josephinens Blicke netzten sich mit Thränen. Ja, rief sie endlich aus, Sie haben Recht, meine theure, mütterliche Freundin! Ich will mich fügen in mein Schicksal. Unterstützen Sie mich, wenn ich wanke. Ach, Madam Wilmuth, wie kommt's, daß ich, sonst so streng in meinen Meinungen gegen mich und Andre, jetzt auf einmal so schwach bin? Ehmals glaubt' ich, ein innerliches Gefühl in mir, auf das ich stolz war, würde gleichsam mechanisch meine Wahl bestimmen, wenn ich mich für den rechten oder unrechten Weg entscheiden sollte. Und jetzt, – der kindliche Gehorsam führt mich auf die Dornenbahn meiner Pflichten, aber meine ganze Neigung widerstrebt.


Madam Wilmuth antwortete: Das liegt so in uns egoistischen Menschen. Unsere Forderungen gegen Andre sind streng, aber uns scheinen sie leicht, weil wir uns einbilden, daß wir in ähnlichen Fällen alles leisten könnten, was wir fordern. Dieses allzugroße Selbstvertrauen macht oft, daß unsre Vorsätze scheitern, und daß wir dann in unsrer ganzen Schwäche gedemüthigt da stehn. Wir sehen alsdann, daß es leicht ist, zu wissen, was gut oder böse ist, aber schwerer das Gute auszuüben, als es von Andern zu verlangen. Eine solche Bekanntschaft mit unserer eignen Unvollkommenheit ist nicht unnütz, denn sie macht tolerant, und langsam und bescheiden arbeitet man daran, stärker, fester und besser zu werden.

Josephine war allein, und dachte nach über ihre Empfindungen. Madam Wilmuth hatte sie nicht überzeugt, daß sie glücklicher mit Wodmar durch Achtung und Freundschaft, als mit August durch die innigste Liebe werden würde, denn wer könnte die Leidenschaft überzeugen, die mit ihrer ganzen, ersten Allmacht sich in einem siebzehnjährigen Busen regt, – aber sie hatte doch eine leise Hoffnung in ihrem Herzen geweckt, daß es möglich seyn könnte, und die dornenvolle Zukunft, der sie entgegensah, mit einigen duftenden Rosen verschönert. Sie überlegte sich alles noch einmal. Es dünkte ihr edel und groß, dem Manne, den sie liebte, aus Gehorsam zu entsagen, und voll Duldung und Unterwerfung dem ernsten Rufe ihres Schicksals zu folgen. Selbst die wehmuthsvollen Träume, in die ihre unglückliche Liebe sie wiegte, waren ihr süß, und nährten ihre Festigkeit. Ach, dem menschlichen Herzen sind die Freuden weniger nothwendig, als der Schmerz – vielleicht weil es früher mit diesem als mit jenen bekannt wird. – August stellte sich vor das Auge ihrer Fantasie mit seinem thränenvollen, gutmüthigen Gesicht, das der Kummer gebleicht hatte. Sie streckte ihre Arme mit Rührung aus, das geliebte Schattenbild zu umfangen, das sich ihre Einbildungskraft mit goldener Täuschung schuf, – aber sie zog sie wieder zurück, denn die Konvenienz, der sie doch einmal geopfert war, stand drohend ihr zur Seite. Diese zärtlichen Empfindungen, die sie ihrem unbekannten Bräutigam opferte, erfüllten sie jetzt nach und nach nicht mit Unwillen, sondern mit einem sanften Wohlwollen für ihn, das zart-fühlende Herzen immer für die Gegenstände empfinden, für die sie viel thaten, viel verloren, viel vergessen mußten.

Es ist wahr, dachte sie, der Unterschied unsers Standes ist eine Kluft, die mich entweder von August oder von meinen Eltern trennt. Und soll ich denen, die mir das Leben gaben, nicht die Neigung meines Herzens als ein Zeichen meiner Dankbarkeit zum Opfer bringen, um ihre Wünsche zu erfüllen, die mich gern groß und glücklich sähen? – Zwar – kann die Natur es billigen, wenn man seinem Glück entsagt? – Können Eltern die entscheidende Stimme verlangen, wenn es auf das Wohl und Wehe ihres einzigen Kindes ankommt? und doch, doch! setzte sie ihr Selbstgespräch fort, und gelobte sich feierlich, gehorsam zu seyn. Der Gedanke, unrecht und undankbar gehandelt zu haben, sagte sie zu sich selbst, würde Wermuth in den Wonnebecher der Liebe mischen, und ein ewignagender Wurm an meinem Innern seyn. Aber wenn ich nun allen meinen rosenfarbnen Hoffnungen auf Lebensglück Lebewohl sage, und dem Mann meine Hand gebe, dem nie mein gebrochnes Herz gehören wird, o da wird mein Bewußtseyn Balsam in die Wunde träufeln, die mir das grausame Verhängniß schlug.

August kam, wie er es seiner Mutter versprochen hatte; Josephine flog ihm entgegen. Sie reichte ihm die zitternde Hand, die er ergriff, und an seine Lippen drückte. Madam Wilmuth war in ängstlicher Erwartung Zeuge dieses traurigen Augenblicks. Nehmen Sie mit diesem Händedruck, sagte Josephine ernst und wehmuthswoll, aber ruhig, nehmen Sie mit diesem Händedruck die Versicherung meiner ewigen Freundschaft. August! ich darf Ihnen nichts als Freundin seyn, aber das will ich Ihnen bleiben, so lange diese Augen offen stehn, und so lange diese Lippen Ihren Namen stammeln können. Ich habe gekämpft mit meinem Herzen, und es ist nun ruhig. Seyn Sie es auch, August! – Sollte ein Mann nicht mehr vermögen, als das schwache Mädchen? – Sollte ich Ihnen mehr Stärke der Seele zugetraut haben, als Sie wirklich besitzen? O, nein, nein Wilmuth! ich habe mich nicht in Ihnen geirrt, wenn ich, da ich Sie nicht lieben darf, von Ihnen gleichen Muth erwartete, ein Schicksal zu tragen, das nun einmal unsre Bestimmung ist. Nicht wahr, Sie tadeln mich nicht, daß ich eine folgsame Tochter bin, obgleich mein Gehorsam mir und Ihnen so viel kostet? –

August verhüllte sein thränendes Auge. Es giebt eine Zukunft, antwortete er, in der keine Vorurtheile mehr herrschen. Da werden wir uns wieder finden, das weissagt mir meine Seele. Bis dahin ewige, ewige Freundschaft!

Madam Wilmuth umarmte eins nach dem andern. Seyd fest, meine Kinder! sagte sie, und beide versprachen es.

Das alte Verhältniß war nun so ziemlich unter beiden wieder hergestellt, bis auf jene holde Unbefangenheit, die ehemals die glückliche Unwissenheit ihrer Gefühle begleitete, und die die schönste Würze ihres Umgangs war. August und Josephine sahen sich täglich, und die Flamme ihrer Leidenschaft brannte noch immer insgeheim fort, ob sie gleich öffentlich gedämpft zu seyn schien. War Madam Wilmuth bei ihnen, so wachte jedes über seine Worte und Bewegungen, – waren sie aber allein, so entschlüpfte Josephinen ein tiefer, lang zurückgehaltner Seufzer, der seinen Wiederhall in Augusts Busen fand. Sie sahen sich dann an, und ihre Blicke wurden feucht. August berührte mit wonnevollem Beben ihre blonden, seidnen Locken, so oft es unbemerkt geschehen konnte, und wenn ihn ihr Gewand bestreifte, so durchdrang ein süßer Schauer sein innerstes Wesen. Josephine hing mit trüben Blicken an seiner angenehmen Gestalt, wenn er nicht hinsah, – begegnete aber sein Auge dem ihrigen, so schlug sie es nieder, und wurde roth, und oft schwamm es in einer stillen Thräne, wenn sie es wieder erhob. Ihre Lieblingsbeschäftigung wurde jetzt das Zeichnen. Ihm widmete sie den größten Theil ihrer Zeit, mit der sie sonst karg war. Da saß sie, und betrachtete die Gemälde, die vor ihr lagen, mit flammenden Blicken, denn August hatte sie entworfen, und die Liebe beseelte ihren Pinsel. Die einsamsten Gegenden wählte sie sich, und sie dünkten ihr paradiesisch zu seyn, wenn sie im Geist sie mit August bewohnte. Diesen Träumen überließ sie sich so gern, sie machten sie heiter, ob sie gleich mit der Unmöglichkeit einer Erfüllung gepaart waren. Ihre glühende Fantasie zauberte den Himmel einer glücklichen Liebe um sie her, von dem sie so weit entfernt war, und grub das Bild des Geliebten immer tiefer in ihre Brust. Sie schwiegen beide, aber dies Schweigen war gefährlicher wie der Erguß ihrer gepreßten Herzen gewesen wäre, denn jede Klage, die verstummen muß, jede Thräne, die nur im Verborgnen fließen darf, und jeder Seufzer, der sich verstohlen mit den Lüften mischt, ist ein Dolchstich für das kranke Gemüth, denn nur der Schmerz ist zu heilen, der sich mittheilen darf.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03