Donatien Alphonse François Marquis de Sade

* 02.06.1740 in Paris
† 02.12.1814 in Charenton/Paris

Der in vielen Literaturgeschichten entweder gar nicht oder nur en passant genannte Sade ist vielleicht einer der meistgelesenen französischen Autoren der Neuzeit. Nach seiner Wiederentdeckung durch Baudelaire um 1850 haben sich praktisch alle bedeutenden europäischen Literaten und Intellektuellen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und des frühen 20. irgendwann, und oft sogar sehr intensiv mit ihm beschäftigt. Vermutlich ist sein Vorbild nicht unbeteiligt daran, dass auch seriöse französische Autoren (sowie manche Autorin) sich nicht für zu schade hielten und halten, nebenher diesen oder jenen pornografischen Text zu verfassen.

Der Name des »göttlichen Marquis« (divin marquis), wie ihn seine Adepten gern nennen, ist mit dem Substantiv und dem Adjektiv ins französische Lexikon, und nicht nur in dieses, eingegangen.

Sade stammte aus einem alten, wenn auch nicht mehr reichen südfranzösischen Adelsgeschlecht und war über seine Mutter sogar weitläufig mit den Bourbonen, d.h. der königlichen Familie, verwandt. Er kam denn auch zur Welt im Pariser Stadtpalast der Condés, einer Seitenlinie des Königshauses. Hier verbrachte er seine erste Kindheit, danach lebte er teils bei Verwandten in der Provence, teils wieder in Paris, wo er von 10. bis zum 14. Lebensjahr das Collège Louis-le-Grand besuchte und dann eine Offiziersschule für junge Hochadelige durchlief. Mit 15 wurde er Offiziersanwärter, zwischen 1757-63 diente er als junger Offizier im Siebenjährigen Krieg und wurde mehrfach befördert.

Zurück in Paris verliebte er sich in die jüngere Tochter eines reichen neuadeligen Gerichtspräsidenten, ließ sich dann aber, um den materiellen Status seiner Familie aufzubessern, mit ihrer älteren Schwester Renée Pélagie (1741-1810) und deren guter Mitgift verheiraten. 1764 erbte er von seinem Vater das vor allem einen ehrenhaften Titel bedeutende Amt des königlichen Generalleutnants der kleinen Provinzen Bresse, Bugey, Valromey und Gex an der Grenze zur Schweiz.

Hiernach endete allerdings sein bis dahin eher glatter Lebenslauf. Denn er begann den erheirateten neuen Reichtum zur Realisierung seiner bemerkenswerten sexuellen Phantasien zu nutzen, die den Rahmen auch dessen sprengten, was man damals bei adeligen Libertins zu tolerieren bereit war. Dies führte rasch zu immer neuen und immer schwerer beizulegenden Problemen mit der Polizei, zu Verurteilungen zu Geld- und kurzen Haftstrafen, zu Fluchten in die Provinz und ins Ausland, u.a. nach Holland, sowie 1772 sogar zu einem in Abwesenheit gegen ihn verhängten Todesurteil.

Als er im gleichen Jahr auch noch seine junge Schwägerin Anne-Prospère Pélagie (1751-1779), die inzwischen Stiftsfräulein (chanoinesse) geworden war, verführte und mit ihr nach Italien durchbrannte, ließ die Familie ihn fallen. Nach einigen weiteren Skandalen erwirkte seine Schwiegermutter einen königlichen Haftbefehl (lettre de cachet) gegen ihn. Er wurde entsprechend 1777 bei einer Rückkehr nach Paris festgenommen und ohne weiteren Prozess (denn der König war ja Oberster Richter) und für unbestimmte Dauer zunächst in der als Gefängnis dienenden Festung Vincennes inhaftiert, dann in die Pariser Stadtfestung Bastille verlegt, wobei er als hochstehende Person jedoch keinen größeren materiellen Entbehrungen ausgesetzt war. Das noch anhängige Todesurteil wurde 1778 kassiert.

Intellektuell waren die Jahre in Vincennes und in der Bastille durchaus fruchtbar für Sade. Er ließ sich Bücher bringen und las; und er wurde nun, nachdem er schon 1769 Reiseimpressionen aus Holland, 1775 einen Reisebericht aus Italien und 1776 ein Büchlein über Rom, Florenz und Neapel veröffentlicht hatte, endgültig zum Autor. Schreiben allerdings tat er überwiegend heimlich und, um nicht durch hohen Papierverbrauch Verdacht zu erregen, in winziger Schrift. Grund für die Heimlichkeit waren die teilweise pornografischen Inhalte seiner Texte, deren Abfassung ihm sicher auch als Kompensation seines unfreiwilligen Zölibates diente, aber wohl mehr noch die aggressive Kritik an Religion und Moral, mit der er seine sadistischen Phantasien zu legitimieren versuchte. Seine zentralen Werke aus dieser Zeit sind »Les 120 journées de Sodome« (verfasst wohl ab 1782), »Aline et Valcour ou Le Roman philosophique«, einen Reiseroman in Briefform (1786) und »Les Infortunes de la vertu«, eine philosophische Erzählung aus dem Jahre 1787 die er im Jahre 1791 zum Roman ausgeweitet hat.

Auch zahlreiche Stücke entstanden in diesen Jahren. Sades Sicht von sich selbst als eines bedeutenden Dramatikers fand jedoch keine Bestätigung: Nur zwei seiner Dramen wurden zu seinen Lebzeiten aufgeführt, blieben aber erfolglos; nur ein einziges gelangte zum Druck.

Die Französische Revolution brachte unverhofft Bewegung in seine Existenz. Einige Tage vor dem 14. Juli 1789 soll er aus seiner Zelle der vor der Bastille demonstrierenden Menge zugeschrien haben: »Sie töten die Gefangenen hier drinnen!« Angeblich habe dies dazu beigetragen, dass die Pariser Bevölkerung den Sturm auf die Bastille unternahm, mit dem die heiße Phase der Revolution begann.

Sade selbst wurde allerdings sofort nach dem Vorfall in die Irrenanstalt von Charenton-Saint-Maurice - heute ein Stadtteil von Paris - verlegt. Hierbei ging ihm das in einem Versteck befindliche Manuskript der »120 Tage von Sodom« verloren. Es wurde erst 1904 wiederentdeckt und 1909 gedruckt.

Dank seiner Einweisung in die Irrenanstalt konnte seine Ehefrau sich von ihm scheiden lassen.

1790 wurde Sade dank rechtlicher Veränderungen, die die Revolution bewirkt hatte, entlassen. Hiernach verfasste er, neben kleineren philosophischen Schriften, sein letztes Stück »Oxtiern ou les effets du libertinage«, dessen Protagonist, ein skrupelloser hochadeliger Lüstling, am Ende, ganz untypisch für Sade, seine Strafe findet. Das »drame« wurde 1791 dreimal aufgeführt und wenig später, kaum beachtet, als einziges seiner Stücke gedruckt. Ebenfalls 1791 entwickelte er aus der obigen »Justine«-Erzählung den Roman »Justine ou les Malheurs de la vertu«(gedruckt erst 1797).

Wie nicht wenige liberale französische Adelige hatte auch Sade zunächst mit der Revolution sympathisiert. Er schloss sich sogar den radikalen Jakobinern an und bekleidete zeitweilig höhere Posten, was es ihm zum Beispiel ermöglichte, seine Schwiegereltern aus einer gefährlichen Lage zu retten. Während des Terrorregimes 1793 wurde er jedoch als zu gemäßigt verdächtigt, inhaftiert und 1794 sogar noch zum Tode verurteilt. Ihn rettete der Sturz des Diktators Robespierre (28. Juli). Das neue Regime des Directoire ließ ihn drei Monate später frei.

Sade musste nun die Reste seines durch die Revolution dezimierten Besitzes verkaufen und lebte schlecht und recht von Gelegenheitsarbeiten, denn die diversen Werke, die er jetzt publizierte, brachten kaum etwas ein. Es waren dies, neben dem schon älteren Roman »Aline et Valcour« (1793-95), insbesondere das schwer klassifizierbare Buch »Les instituteurs immoraux, ou La Philosophie dans le boudoir« (1795) und die Romane und »Justine« und »La Nouvelle Justine [...] suivie de l'histoire de Juliette sa sœur, ou Les prospérités du vice« (1797) sowie (1800).

Auch seine Stücke blieben weiterhin unaufgeführt, nachdem 1792 sein zweites zur Aufführung gelangtes, »Le Suborneur«, ebenfalls keinen Erfolg gehabt hatte.

Einige Zeit nach der Machtergreifung von Napoléon Bonaparte (1801) wurde Sade wieder inhaftiert, dieses Mal als Autor moralisch anstößiger Bücher. 1803 landete er erneut in Charenton-Saint-Maurice, das er nicht mehr verließ.

Hier wurde er zunächst relativ zivil behandelt und konnte sich schreibend betätigen. So verfasste er die biografischen Romane »La Marquise de Gange« (1813 gedruckt) sowie »Adélaïde de Brunswick, princesse de Saxe« (1812) und »Histoire secrète d'Isabelle de Bavière« (1813), die beide erst postum publiziert wurden. Zudem durfte er mit Anstaltsinsassen als Schauspielern mehrere Theaterstücke aufführen, worunter allerdings keine eigenen waren. Gegen Ende seines Lebens erhielt er auf Anordnung des Innenministers Einzelhaft mit Isolation und dazu Schreibverbot.

Das wohl am weitesten verbreitete der Werke Sades ist »Les instituteurs immoraux ou La Philosophie dans le boudoir« (1878 auch als erster Sade-Text ins Deutsche übersetzt). Es schilderte die etwa einen Nachmittag und Abend füllende sexuelle und intellektuelle Initiation eines adeligen jungen Mädchens durch eine adelige Frau und zwei adelige Männer plus einem gut bestückten Bauernburschen. Hierbei führen die vier Hauptfiguren in den nötigen Erholungspausen philosophische Gespräche, in denen sich als »unmoralischer Schulmeister« und - weitgehend als Sprachrohr des Autors - der homosexuelle Hedonist und Atheist Dolmacen hervortut. Leitmotiv seiner Philosophie ist die wohl von d'Holbach übernommene Vorstellung vom Recht des Individuums, seinen Wünschen nachzustreben, was Sade interpretiert als Recht einer sozialen und geistigen Elite – letztlich der Hocharistokratie, der er sich zugehörig fühlt – ungehemmt ihren Wünschen nach Lustgewinn zu folgen.


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